Windkraft: Weniger Bürokratie, mehr Chaos – Politik

Er könne, sagt Joachim von Zepelin, mittlerweile ein Buch schreiben über seine Windräder. Es wäre die Geschichte eines Hürdenlaufs über die Marathondistanz – bei dem auch noch kurz vor dem Zieleinlauf die Strecke verlängert wird, auf unbekannte Distanz. Und das alles, weil es Leute im Deutschen Bundestag mal gut meinten.

Zepelins Geschichte beginnt im Jahr 2013. Bei Appelhagen, einem Dorf in der Mecklenburgischen Schweiz, irgendwo südöstlich von Rostock, will er drei Windräder errichten. Das Land ist alter Familienbesitz, den Zepelin nach der Wende zurückgekauft hatte. Anwohner wehrten sich gegen das Projekt, Naturschützer entdeckten Schreiadler und Brutplätze von Kranichen. Behörden stellten Fragen, Zepelin lieferte Antworten. „Ich weiß nicht, wie viele Gutachten ich inzwischen beauftragt, abgeliefert und bezahlt habe“, sagt Zepelin. Die Kosten seien sicher mittlerweile im sechsstelligen Bereich.

Das meiste ist mittlerweile abgearbeitet, die Windräder sind bestellt, bis vor Kurzem sah alles danach aus, als sei das Ziel bald erreicht. Dann kam der Umweltausschuss des Deutschen Bundestags.

Mit der Gesetzesänderung meldete sich auch gleich die Bundeswehr

Im vergangenen Juni beriet er über eine Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes, die unter anderem den Bau neuer Windräder erleichtern sollte. Doch der Ausschuss arbeitete auch noch einen Satz ein, der Abweichungen von den ursprünglichen Planungen erleichtern sollte – und zwar ganz unbürokratisch. Wird eine genehmigte Anlage ein paar Meter vom ursprünglichen Platz entfernt gebaut, braucht es keine neue Genehmigung mehr. Das Gleiche gilt, wenn sie bis zu 20 Meter höher wird als eigentlich geplant. Wenn keine nachteiligen Umweltwirkungen zu befürchten sind, reicht seither ein Nachweis der Standfestigkeit.

Wenn das Windrad denn überhaupt noch gebaut werden kann.

Bei Zepelin meldete sich nach der Gesetzesänderung mal gleich die Bundeswehr. Denn seine Windräder würden in gut 25 Kilometer Luftlinie vom Militärflughafen Rostock-Laage entstehen, und die Bundeswehr fürchtet Nachteile für den Flugradar. Zwar sollen die Windräder in Appelhagen gar nicht höher werden als geplant, aber wer weiß. Die Genehmigung jedenfalls hängt in der Schwebe.

So ergehe es derzeit Windprojekten im ganzen Land, sagt Jörn Bringewat, Zepelins Anwalt. Die Neuregelung führe dazu, dass in jedem Fall, in dem die Luftfahrt betroffen sein könnte, erst einmal Einspruch erhoben werde, ob von Bundeswehr oder Deutscher Flugsicherung. Kein Projekt sei davor gefeit – zumal im Falle militärischer Nutzung oft unklar sei, wo genau die Bundeswehr welche Interessen habe. „Man hat versucht, Bürokratie abzubauen“, sagt Bringewat, „und das Ergebnis ist ziemliches Chaos.“

Auch die Bundeswehr selbst räumt ein, „dass in Einzelfällen Windenergieanlagen zurzeit nicht realisiert werden können“. Schließlich nutze der militärische Luftverkehr den erdnahen Luftraum weitaus stärker als der zivile – und die Folgen einer Kollision eines militärischen Luftfahrzeugs „mit aufmunitionierter Waffenanlage oder gefährlichen Gütern“ könnten weitaus schlimmer sein als bei einem zivilen. Es gehe um Leib und Leben.

Bis sich etwas ändert, muss sich erst eine neue Regierung konstituieren

Bei neuen Windprojekten verlangt die Bundeswehr deshalb mittlerweile einen „Sicherheitszuschlag“ – minus 20 Meter. Schöpfen die Betreiber dann die plus 20 Meter aus dem neuen Gesetz aus, landen sie bei plus/minus null. Das Genehmigungsverfahren wird dadurch aber nicht einfacher. Man müsse feststellen, folgert auch der Windkraft-Verband BWE, „dass die tatsächliche Praxis dem ursprünglichen Anliegen einer Vereinfachung und Beschleunigung entgegensteht“. Die Belange der Luftfahrt müssten rasch in den 20-Meter-Passus aufgenommen werden. Bis das passiert, muss sich aber erst einmal eine neue Regierung konstituieren. Man stehe mit anderen Ministerien zu dem Problem im Austausch, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.

Zepelin und seinen drei Windrädern nutzt das wenig, schließlich sind die eigentlich schon genehmigt. Er hat der Bundeswehr angeboten, in einem Vertrag die Höhe zu fixieren, um deren Sorgen zu zerstreuen. Auch über Baulasten ließe sich die Maximalhöhe festschreiben, sagt Anwalt Bringewat, oder über eine Dienstbarkeit gegenüber der Bundesrepublik Deutschland. Bislang aber habe sich die Bundeswehr auf dergleichen nicht eingelassen.

Im Falle der Appelhagener Windräder hat aber nicht allein Zepelin den Schaden, sondern auch die Region. Denn die Pachterlöse für die Windräder hatten in eine Stiftung fließen sollen, die wiederum gemeinnützige Projekte in der Mecklenburgischen Schweiz unterstützen sollte. Diese Mittel fließen jetzt erst einmal. Und ob er die bestellten Windräder bauen kann, weiß Zepelin derzeit auch nicht. Dummerweise sind die Lieferzeiten ziemlich lang.

Dafür hat er Zeit, noch ein letztes Problem abzuarbeiten. In letzter Minute hatte die Denkmalschutzbehörde kürzlich noch einen Vorbehalt aufgeworfen: Die Drehung der Windräder könnte sich womöglich im Teich eines denkmalgeschützten Gutshauses spiegeln. Aber das Gutachten schafft Zepelin auch noch.

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