
Mit 2024 lag erstmals ein ganzes Jahr über der 1,5-Grad-Marke, viel früher als von Klimaforschern erwartet. Wer deshalb denkt, die Industrieländer würden nun alles dafür tun, um ihre Emissionen zu senken, irrt. Die Trump-Regierung will aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen, die Förderung von Kohle, Öl und Gas ausbauen und den Ausbau von erneuerbaren Energien drosseln. Die EU-Kommission hat angekündigt, die CO₂-Flottenziele für die Autoindustrie auszusetzen. Und in den bisherigen Gesprächen zwischen Union und SPD kam der Klimaschutz wohl nur am Rande vor.
Welche Rolle spielt Klimaschutz im Sondierungspapier?
Union und SPD bekennen sich zwar zu den Klimazielen und dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber: „Aus den Plänen geht nicht hervor, wie das erreicht werden soll“, sagt Energieexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Mehr noch konterkarieren die genannten Maßnahmen die Ziele sogar.“
Konkret wollen Union und SPD neue Gaskraftwerke bauen, sich dafür einsetzen, dass die Autohersteller keine Strafe zahlen müssen, wenn sie die EU-weiten CO₂-Flottenziele reißen, sowie die Pendlerpauschale erhöhen. Außerdem soll der erste Fusionsreaktor der Welt in Deutschland entstehen. „So werden sich die Klimaziele nicht erreichen lassen“, urteilt Kemfert. „Die geplante Förderung für die Fusionstechnologie ist völlig rausgeschmissenes Geld. Dieses sollte in klimaneutrale Technologien fließen, die bereits existieren.“
Positiv bewerten Energieexperten, dass das Heizungsgesetz nicht grundsätzlich infrage gestellt wird und die Strompreise sinken sollen. „Das wird die Elektrifizierung weiter vorantreiben, sowohl im Verkehr als auch im Gebäudesektor sowie teilweise in der Industrie“, sagt Felix Matthes, Energie-Forschungskoordinator am Öko-Institut Berlin. Zusätzlich soll es einen Kaufanreiz für E-Autos geben. Außerdem wollen Union und SPD die unterirdische Abscheidung und Speicherung von CO₂ für „schwer vermeidbare Emissionen“ des Industriesektors ermöglichen. „Carbon Capture and Storage“, kurz CCS, wird diese Technik genannt.
Was könnte das geplante Infrastruktur-Programm für den Klimaschutz bringen?
Das muss sich noch zeigen, Union und SPD verhandeln darüber mit den Grünen. Ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro ist im Gespräch. Der Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Ottmar Edenhofer schlägt eine Regel vor: Vermindern Investitionen tatsächlich CO₂-Emissionen, dann dürfen sie mit Schulden finanziert werden. Schließlich würde jede vermiedene Tonne CO₂ die Klimaschäden in Deutschland um etwa 200 Euro senken, wie er berechnet hat. Gleichzeitig dürfen die Kredite nur abgerufen werden, wenn die Klimaziele auch erreicht werden. „Ohne diese Verpflichtung besteht die Gefahr, dass Deutschland am Ende auf einem großen Schuldenberg sitzt und klimapolitisch wenig erreicht hat“, sagt Edenhofer.
Wie sieht es international mit dem Klimaschutz aus?
Seit Anfang des Jahres gelten in der EU neue CO₂-Grenzwerte für alle Neuwagen eines Herstellers. Wer mit seiner Flotte die Grenze reißt, muss Strafe zahlen. Das aber will EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nun für zwei Jahre aussetzen. Sie spricht von einer „Atempause“. Felix Matthes fürchtet deshalb, dass die deutsche Autoindustrie in den nächsten Jahren auf zwei Produktionslinien setzen muss. „Das ist unschön und teuer“, kritisiert er. Letztlich sei dies „ein Knieschuss für die Autoindustrie“.
In den USA droht ein noch größerer Dämpfer für die Energiewende: Donald Trump will den Schwerpunkt von erneuerbaren auf fossile Energien lenken und andere Länder dazu bringen, amerikanisches Flüssiggas abzunehmen. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Absatz von fossilen Energien in den USA weiter fallen wird, da Wind- und Sonnenenergie inzwischen so billig sind. „Trump müsste die fossile Industrie schon massiv subventionieren, um den Trend zu brechen“, sagt Niklas Höhne, Professor für Klimapolitik an der Universität Wageningen. Er hat berechnet, dass die reaktionäre Energiepolitik Trumps nur einen minimalen Effekt auf die globale Erderwärmung haben wird. Jedenfalls, solange er nicht eine ganze Reihe anderer Länder dazu bewegt, es ihm gleichzutun.
Was könnten Deutschland und die EU tun, um den weltweiten Klimaschutz voranbringen?
Der politische Geschäftsführer der Umweltorganisation Germanwatch Christoph Bals fordert eine Allianz mit afrikanischen und asiatischen Ländern, um dort den Ausbau von erneuerbaren Energien voranzutreiben – etwa mit einer Gewährung von günstigen Zinssätzen. So lasse sich Trumps Werbeoffensive für fossile Energien etwas entgegensetzen: „Wir sind an einem Verzweigungspunkt angelangt“, sagt Bals. „Wir haben die Chance, Trump ins Leere laufen zu lassen. Ob Deutschland und die EU dazu die Handlungsfähigkeit aufbringen, muss sich nun erweisen.“
Zumindest der größte CO₂-Emittent der Welt dürfte die weltweite Energiewende weiter antreiben und dabei das Zögern von EU und den USA ausnutzen. „China wird den europäischen Markt mit E-Autos zu Dumpingpreisen fluten“, sagt Claudia Kemfert. „Das hilft der weltweiten Energiewende, aber die deutsche Autoindustrie bekommt einen enormen Wettbewerbsnachteil.“
Was bedeutet der nachlassende Eifer beim Klimaschutz in Europa und den USA für die Erderwärmung?
Der Climate Action Tracker berechnet fortlaufend, wie stark sich die Welt bis zum Ende des Jahrhunderts aufheizen wird, wenn die Länder ihre bereits beschlossenen Maßnahmen umsetzen. Seit mehr als vier Jahren ergibt sich der gleiche Zielwert: 2,7 Grad Celsius. Es ist also keine Verbesserung in Sicht, obwohl die erneuerbaren Energien weltweit florieren. „Der Erneuerbaren-Boom und die Stärkung der fossilen Infrastruktur durch die Politik löschen sich gegenseitig aus“, erklärt Niklas Höhne, der am Climate Action Tracker beteiligt ist. Heißt: Der Klimaschutz könnte eigentlich viel schneller vorangehen, wenn die Politik es ernst meinen würde. „Es existieren zwei gegenläufige Trends, welcher von beiden gewinnt, lässt sich noch nicht sagen.“
Sind die Pariser Klimaziele noch zu erreichen?
Das 1,5-Grad-Ziel wohl nicht mehr, das Zwei-Grad-Ziel aber schon noch. Würden alle Länder der Welt ihre abgegebenen Versprechungen tatsächlich einhalten, ließe sich die Erderwärmung auf knapp unter zwei Grad Celsius zum Ende des Jahrhunderts begrenzen. Das Problem ist nur: „Kein einziges Land hat bisher genügend Maßnahmen eingeleitet, um die Ziele auch zu erreichen“, sagt Höhne. Deutschland ist da bislang keine Ausnahme.