
Deutschland darbt. Konzerne kündigen Stellenabbau an, der Aktienindex Dax ist unterwegs wie eine Achterbahn, und just am Donnerstag kassierten die Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumsprognose. Statt plus 0,8 Prozent stehen da nun nur noch magere 0,1 Prozent Wachstum für dieses Jahr. Die Weltwirtschaft insgesamt ist nicht gut zuwege, aber Deutschland geht es besonders schlecht.
Und jetzt – die Wende?
Nichts weniger haben sich Union und Sozialdemokraten vorgenommen. „Die Koalition will in den kommenden vier Jahren zeigen, dass Deutschland zurück ist“, heißt es ohne falsche Bescheidenheit auf Seite 56 des Koalitionsvertrages. Und bis Seite 56 lassen sich schon jede Menge Seiten durchblättern mit Plänen, wie das funktionieren soll. Von Sonderabschreibungen ist da die Rede, leichterer Anerkennung von Qualifikationen, sinkenden Energiekosten und weniger Bürokratie. Im Vertragswerk der Ampel war die Wirtschaft noch ein Unterpunkt des Klimakapitels, diesmal ist sie Punkt eins: „Neues Wirtschaftswachstum, gute Arbeit, gemeinsame Kraftanstrengung“. Und viel Kraft wird es brauchen.
Der Solidarzuschlag bleibt. Anders war es mit der SPD nicht zu machen
Das gilt nicht nur, aber ganz besonders für die Steuerpolitik: Hier hat die Bundesrepublik erheblichen Nachholbedarf, denn kein anderer führender Industriestaat zieht gerade großen, international tätigen Unternehmen so viel von ihren Gewinnen ab, wie es der deutsche Fiskus tut. Entsprechend zurückhaltend sind die Firmen mit Investitionen. Der Attentismus ist mittlerweile so lähmend, dass sich 100 führende Wirtschaftsverbände des Landes noch vor einer Woche genötigt sahen, die Koalitionsunterhändler in einem gemeinsamen Brandbrief eindringlich vor einem plumpen „Weiter so!“ zu warnen.
Offenbar ist die Botschaft angekommen, denn die jetzt vorliegenden Beschlüsse zur Reform der Unternehmensbesteuerung sind weitreichender, als das Gros der Kritiker es befürchtet hatte. Das belegen auch die ersten Reaktionen vieler Verbände und Ökonomen, die zwar nicht euphorisch, aber doch recht freundlich ausfallen.
Um die Ausgabenunlust der Konzerne zu überwinden, planen Union und SPD demnach einen Doppelschlag, der die Konzepte beider Partner miteinander kombiniert, statt sie auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu reduzieren. Stufe eins sieht vor, das Unternehmen, die Geld in die Modernisierung und den Ausbau von Gebäuden, Maschinenparks und Fahrzeugflotten stecken, die entsprechenden Kosten 2025, 2026 und 2027 zu jeweils 30 Prozent steuermindernd geltend machen können. Die Ausgaben wären also über drei Jahre – und damit deutlich schneller als bisher – fast vollständig abgeschrieben. Die künftigen Koalitionäre selbst sprechen von einem „Investitionsbooster“.
Im zweiten Schritt soll dann von 2028 an der Körperschaftsteuersatz über fünf Jahre von heute 15 auf zehn Prozent reduziert werden. Zwar hätten sich die Wirtschaftsverbände gewiss eine zügigere Umsetzung der Stufe zwei gewünscht. Dennoch kann sich die jetzt gewählte Kombination sehen lassen, denn die Betriebe profitieren gleich doppelt: Die großzügigeren Abschreibungsregeln machen Investitionen sofort attraktiver, zugleich werden die Gewinne, die diese Investitionen in einigen Jahren abwerfen sollen, geringer besteuert als bisher gedacht. Diese Kombination sei „der richtige Weg“, sagt auch Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts. „Die politische Entscheidung, Wachstum zu priorisieren, ist in der aktuellen Lage angesichts der Stagnation und der Schwäche der privaten Investitionen überzeugend.“
Einziger Wermutstropfen für die Verbände: Der Solidaritätszuschlag, der im Wesentlichen nur noch von Unternehmen und vergleichsweise wenigen gut betuchten Privatbürgern bezahlt werden muss, bleibt bestehen. Eine Steuerentlastung „nur für Reiche“ war mit der SPD nicht zu machen.
Weit weniger beeindruckend sind die Vereinbarungen der künftigen Koalitionäre im Bereich der Einkommensteuer, die außer für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch für die 2,5 Millionen Einzelunternehmer und Personengesellschaften des Landes die entscheidende Steuer ist. Hier reichte es nur zu einem Formelkompromiss, was nicht nur daran liegt, dass die Konzepte von Union und SPD sich diametral widersprechen. Sie sind zu allem Überfluss auch noch jeweils in sich unlogisch: CDU und CSU haben im Wahlkampf kräftige Steuersenkungen versprochen, sagen aber nicht, wie die Einnahmeausfälle kompensiert werden können. Die SPD wiederum verlangt eine kostenneutrale Reform, verschweigt aber, dass der Spitzensteuersatz massiv ansteigen müsste, wenn man Geringverdiener spürbar entlasten wollte.
Entsprechend einigten sich die Partner lediglich darauf, kleine und mittlere Einkommen „zur Mitte der Legislatur“ zu entlasten. Anders formuliert: Das Problem wurde vertagt, was zugleich bedeutet, dass vonseiten der privaten Verbraucher bis auf Weiteres keine nennenswerten Impulse für einen Aufschwung zu erwarten sind, jedenfalls nicht über Steuererleichterungen. Gleichzeitig allerdings finden sich so manche Wahlgeschenke in dem Paket, von der Mütterrente über den Agrardiesel bis hin zur höheren Pendlerpauschale. Bei all den guten steuerlichen Akzenten für Unternehmen werfe das doch Fragezeichen auf, findet die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. „Angesichts der anstehenden wirtschaftlichen Herausforderungen ist das unverständlich.“
Die niedrigere Stromsteuer soll nicht nur Unternehmen entlasten
Eine andere Frage, die den Unternehmen unter den Nägeln brennt, sind die Energiepreise. Auch hier winkt eine Entlastung, vor allem bei der Stromsteuer. Sie soll auf den europäischen Mindestsatz von 0,05 Cent je Kilowattstunde sinken – von derzeit 2,05 Cent. Zwar hatte auch die Vorgängerregierung so eine Ermäßigung schon 2023 beschlossen, das allerdings allein für Firmen des produzierenden Gewerbes und auch nur für die Jahre 2024 und 2025. Ende dieses Jahres wäre sie ausgelaufen. Und schon seinerzeit hatten sich kleinere Betriebe beschwert, dass sie nicht bedacht wurden. Viel Strom brauchen schließlich auch manche Handwerksbetriebe, etwa Bäckereien. Brötchen ließen sich also künftig wieder etwas günstiger backen, und in den Genuss einer niedrigeren Stromsteuer kommen auch alle übrigen Verbraucherinnen und Verbraucher. Für einen durchschnittlichen Haushalt bleiben allein dadurch im Jahr um die 60 Euro Ersparnis, die sich für andere Zwecke ausgeben lassen.
Ähnliches gilt für die sogenannten Netzentgelte. Über sie wird auch der massive Ausbau der Stromleitungen finanziert, der für die Energiewende nötig wird – weshalb die Netzentgelte seit Jahren steigen. Für Industrieunternehmen können sie mitunter so viel kosten wie der Strom selbst. Schon die Vorgängerregierung hatte die Netzentgelte mit Milliarden senken wollen, das aber nicht mehr finanzieren können, nachdem das Bundesverfassungsgericht milliardenschwere Überweisungen an den Klima- und Transformationsfonds gestoppt hatte. Nun wollen Union und SPD die Netzentgelte abermals deckeln. Geld dafür steckt im milliardenschweren, diesmal im Grundgesetz abgesicherten Sondervermögen. Weil so die Energiewende finanziert wird, dient das Ganze schließlich auch dem Klimaschutz. Um fünf Cent soll so der Strompreis insgesamt sinken.
Bleibt noch ein Posten, der sich mit Euro und Cent schwer beziffern lässt: die Bürokratie. Wie zahllose Koalitionen vor ihr sagt auch diese dem bürokratischen Mehraufwand den Kampf an. Die Verwaltung soll insgesamt digitaler und effizienter werden, viele Genehmigungsverfahren wollen Union und SPD beschleunigen. „Überbordende und wirkungslose Berichtspflichten werden wir streichen“, verspricht der Koalitionsvertrag. Pflichten zur Bestellung von Betriebsbeauftragten sollen entfallen, ebenso zu so mancher Schulung und Weiterbildung – das alles als Teil eines „Sofortprogramms für den Bürokratierückbau“. Lauter Pflichten allerdings, die bisher schon so manches Ab- oder Rückbauprojekt überstanden haben.
Und so schlecht die wirtschaftliche Lage derzeit auch ist – ein Gutes könnte sie für die Koalition haben: Die Erwartungen sind so bescheiden, dass es eigentlich nur noch besser werden kann. Zumal sich die Koalition einen Impuls schon gesichert hatte, bevor sie ihren Vertrag abschloss – das 500 Milliarden Euro schwere Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz. Denn wenn sie daraus nun Brücken, Schulen oder Schienenwege modernisiert, wird das am Wirtschaftswachstum kaum spurlos vorübergehen.